Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz & Landeswahlversammlung BTW21 - 22.08.2020 |
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Tagesordnungspunkt: | 10. Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | KV Ludwigslust-Parchim (dort beschlossen am: 12.06.2020) |
Status: | Eingereicht |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 53, Nein: 2, Enthaltungen: 6 |
Eingereicht: | 09.07.2020, 18:31 |
V1: Verträglichen Kiesabbau rechtlich regeln!
Antragstext
Die LDK möge beschließen:
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Mecklenburg-Vorpommern fordern Landtag und
Landesregierung auf, ein Abgrabungsgesetz oder eine Abgrabeordnung zu
beschließen, das oder die bei Genehmigungsverfahren und im Abbaubetrieb die
bergbaulichen Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere des
Kiesabbaus, strenger reguliert.
Folgende Standards möge das Gesetz/die Verordnung (vergleichbar zu den
bayrischen Regeln) enthalten:
- Schutz vor Lärm- und Vibrationsimmissionen:
- Einhaltung der TA Lärm
- Regelmäßige Messungen, initial und im Betrieb, mindestens alle 2
Jahre
- Abstandsregeln:
- zu reinen Wohngebieten 300 m
- zu allgemeinen Wohngebieten 200 m
- zu Mischgebieten 150 m
- Beschränkung der Betriebszeiten:
- Montag bis Freitag von 7 bis 17 Uhr (d.h. keine Förderung zwischen
17 Uhr und 7 Uhr, sowie an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen
Feiertagen in M-V)
- Montag bis Freitag von 7 bis 17 Uhr (d.h. keine Förderung zwischen
- Reduktion transportbedingter Immissionen:
- Bei der Standortwahl von Abbauflächen ist zu vermeiden, dass an den
Zufahrtsstraßen, insbesondere in Ortsdurchfahrten, durch den
Transportverkehr eine wesentliche Verschlechterung der
Verkehrslärmsituation eintritt - Ein Transportkonzept ist durch das Abbauunternehmen als Teil des
Hauptbetriebsplans vorzulegen und durch das Bergamt Stralsund zu
prüfen. - Orientierung der Zumutbarkeit der Anzahl der LKW-Fahrten an
Einwohnerzahlen: In geschlossenen Ortschaften mit weniger als 5.000
Einwohnern mehr als 50 LKW-Fahrten pro Tag sind beispielsweise
abzulehnen (Erschließung über eigene Zuwegung[1])
- Bei der Standortwahl von Abbauflächen ist zu vermeiden, dass an den
- Reduktion von Verritzung:
- Die Entfernung des Mutterbodens inklusive darauf befindlichen
Vegetation (Verritzung des Bodens) darf immer nur in dem Ausmaß
erfolgen, wie es die Kapazität der Kiesgewinnung innerhalb einer
begrenzten Zeitspanne von 2 Jahren (der Gültigkeitsdauer eines
Hauptbetriebsplans) ermöglicht, um sowohl Staubemissionen als auch
die Beeinträchtigung des Grundwasserspiegels durch erhöhte
Verdunstung zu vermeiden
- Die Entfernung des Mutterbodens inklusive darauf befindlichen
- Verbot der Lagerung von Fremdstoffen:
- Die Abbaustätten dürfen nicht als End- und Zwischenlagermöglichkeit
von Abfällen, Fremdaushubböden und Recyclingmaterial genutzt werden
- Die Abbaustätten dürfen nicht als End- und Zwischenlagermöglichkeit
- Zeitnahe und wirksame Renaturierung:
- Die Renaturierung hat nach einem konkreten, genehmigungspflichtigen
Renaturierungskonzept als bewusste Geländegestaltung inklusive eines
konkreten Kosten- und Zeitplanes zu erfolgen. - Abbau und Renaturierungsmaßnahmen sind so zu organisieren, dass die
bergbauliche Flächennutzung sich nicht ständig vergrößert, sondern
durch eine kontinuierliche Flächenrückgabe renaturierter Flächen auf
einem möglichst niedrigen Niveau gehalten wird. Ein neuer
Abbauabschnitt soll erst dann begonnen werden, wenn die
Renaturierung oder Rekultivierung des vorhergehenden Abschnitts
eingeleitet ist. - Mutterboden ist in der gleichen Mächtigkeit wieder aufzubringen, wie
er zur Freilegung der Kiesflächen entnommen wurde - Für die im Rahmen der Renaturierung notwendige Ufersicherung von
Baggerseen sind geeignete Gehölze zu pflanzen wie Schwarzerle,
Silberweide und Purpurweide. Im Hinblick auf die Herausbildung
strukturreicher Gehölz-Feld-Übergänge sollen bestimmte Straucharten
gepflanzt werden, die Artenvielfalt fördern. Insbesondere bei
Standorten in Siedlungsnähe reicht es auf keinen Fall aus, die
Renaturierung der „Natur“, also dem Zufall, zu überlassen.
- Die Renaturierung hat nach einem konkreten, genehmigungspflichtigen
- Ausschluss ungeeigneter Bergbaustandorte:
- Nationalparke,
- Naturschutzgebiete,
- festgesetzte, vorläufig gesicherte und geplante
Trinkwasserschutzgebiete.
Das Land möge sich zudem beim Bund dafür einsetzen, dass auch das nach 30 Jahren
Einheit in Bezug auf den Kiesabbau immer noch in West und Ost zweigeteilte
Bergrecht endlich bundesweit vereinheitlicht wird.
Begründung
Begründung:
- Worum geht es?
Mecklenburg-Vorpommern ist ein Bundesland, das besonders vom Kiesabbau betroffen ist.
- Der Rohstoff:
Mecklenburg-Vorpommern ist reich an Sand- und Kiessandvorkommen mit großer bzw. mindestens mittlerer Höffigkeit. Die bestehenden Rohstoffsicherungsgebiete sind in den regionalen Raumentwicklungsprogrammen berücksichtigt. Kies und Sand sind nicht nachwachsende Verbrauchsrohstoffe. Tagebaue zur Kies- und Sandgewinnung sind an geologische Strukturen gebunden, die im Zuge der eiszeitlichen Genese in MV entstanden. Daher sind Vorratsflächen nicht einheitlich verteilt und die Rohstoffe sind regional qualitativ sehr unterschiedlich. Schwerpunktregionen für die Kies- und Sandgewinnung in MV sind Gebiete nördlich der Müritz, Westmecklenburg, das nördliche Vorpommern sowie der Raum Neubrandenburg.
- Die Aussichten:
Aktuell werden vor allem Lagerstätten abgebaut, die noch zum großen Teil zu DDR-Zeiten staatlich erkundet und genehmigt wurden. Neue Lagerstätten wurden seit der Wende kaum erkundet. Bestehende Genehmigungen laufen in den nächsten Jahren aus, so dass in Größenordnungen neue Flächen ausgewiesen werden müssen bzw. deren Ausweisung angestrebt werden wird. Dies wird auch vor dem Hintergrund geschehen, dass es andernorts in Deutschland Engpässe bei der Belieferung mit Kiessanden gibt. Kies wird zudem für den Küstenschutz eine immer größere Rolle spielen.
Wichtige Kiessandlagerstätten der inglazialen Schmelzwassersysteme sind auch die Oser. Aufgrund ihrer Bedeutung für die glazigen gepägte Landschaft sind sie in Mecklenburg-Vorpommern seit 1998 als Geotope eingestuft und stehen demzufolge für den zukünftigen Abbau nicht mehr zur Verfügung.
Die Folge: Die Betreiber bestehender Kiesgruben und Abbaugebiete werden bestrebt sein, ihre bestehenden Gebiete und Genehmigungen auszuweiten.
- DieregionaleRaumordnung:
Die Lagerstätten oberflächennaher Rohstoffe des Landes befinden sich in Gebieten, die nicht selten auch für andere Nutzungen (z. B. Tourismus, Naturschutz) attraktiv sind. Beim Abbau von Rohstoffen handelt es sich in der Regel um raumbeanspruchende Maßnahmen, durch welche die räumliche Entwicklung und Funktion eines Gebiets überwiegend temporär beeinflusst wird. Diese kann, bedingt durch die Ergiebigkeit der betreffenden Lagerstätte langfristig sein und sich auf mehrere Jahrzehnte erstrecken. Bei Konzentrationen von Abbaubetrieben in einer Region und Konflikten mit konkurrierenden Raumnutzungen bedarf es einer besonders gründlichen Diskussion zwischen Raumnutzern und Raumplanern. Ohne rechtliche Regeln wird es regelmäßig schwierig dem Naturschutz Vorrang einzuräumen.
Festgelegt sind 87 Vorranggebiete für die Rohstoffsicherung festgeschrieben, nicht ausschließlich aber größtenteils für die Gewinnung von Kiessand. Die Vorranggebiete umfassen in Summe 5.643ha (0,81% der Regionsfläche). Größte regionale Schwerpunkte im Landkreis LUP bestehen in Zarrentin mit den Vorranggebieten 3 (Lüttow-Vallun), 4 (Lüttow 2) und 5 (Zarrentin) mit insgesamt 471ha, und südostlich von Schwerin mit den Vorranggebieten 65 (Consrade), 73 (Pinnow Nord), 74 (Pinnow Süd), 75 (Plate) und 80 (Peckatel) mit insgesamt 661 ha.
- Die Betroffenheit:
Je nach Abbauverfahren (Trocken- oder Nassabbau) und Größe der Technik, nach verkehrlicher Situation, ob ein Ort in vorherrschender Windrichtung liegt, wie die Bodenbeschaffenheit unterhalb der Kiesschichten ist, wie tief gegraben wird usw., fühlen sich Anwohner*innen von Kiesgewinnungsanlagen belästigt. Das betrifft Immissionen wir Staubbelastung, Bodenvibration, Baggerlärm und Infraschall, Belastung kleiner Dorfstraßen durch LKW-Verkehr u.v.a.m. Als die Firma Dörner beispielsweise in Pinnow, Landkreis LUP, den Abbaubetrieb auf Flüssigabbau mittels Saugbagger umstellte, klirrten in 500 m entfernten Häusern Fensterscheiben, wackelte der Boden. So gründete sich im vergangenen Jahr dort die Bürgerinitiative „Verträglicher Kiesabbau für Mensch und Natur Pinnow Nord (VKP)“. Inzwischen haben einige Maßnahmen des Betreibers auf öffentlichen Druck hin Verbesserungen erbracht. Aber zugleich ist die Erkenntnis entstanden, dass es Erweiterungspläne über die Gemeindegrenzen hinaus gibt, dass eine alte Allee und eine für Mecklenburg typische Büdnereisiedlung von diesen Plänen betroffen sein werden.
- Grundwasser:
Die Wahrnehmung der wasserbehördlichen Aufgaben obliegt im Kiesabbau vornehmlich dem Bergamt Stralsund, im Rahmen der Prüfung von Betriebsplänen für die einzelnen Bergbauvorhaben. Laut eigener Darstellung des Bergamts betrifft dies u.a. die Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse zur Benutzung von Grund- und Oberflächenwasser, die Genehmigungen zur Schaffung von Gewässern im Zuge der Rohstoffgewinnung oder auch die Festlegung des Umfanges von Monitoringmaßnahmen zur Grundwasserüberwachung sowie deren Überwachung.
Kiesabbau kann in einzelnen Regionen zur weiteren Absenkung des ohnehin nach mehreren trockenen Sommern zu niedrigen Grundwasserspiegels führen. Ohne Beteiligung der entsprechenden Behörden spielen solche Erwägungen aber in den Betriebsstättengenehmigungen oftmals keine ausreichende Rolle.
- Rechtliche Grundlagen:
Die Rohstoffgewinnung wird in Deutschland vor allem durch das Bundesberggesetz (BBergG) geregelt, welches 1982 die alten Berggesetze der Bundesländer sowie zahlreiche bergrechtliche Nebengesetze des Bundes und der Länder abgelöst hat.
Hinsichtlich ihrer rechtlichen Regelung werden in Deutschland drei Gruppen von Rohstoffen unterschieden:
- Bergfreie Bodenschätze stehen nicht im Eigentum des Grundeigentümers. Das Aufsuchen und Gewinnen dieser Bodenschätze unterliegt dem BBergG, bedarf einer Bergbauberechtigung und muss durch die Bergbehörden der Bundesländer in einem zweistufigen Verfahren genehmigt werden: zum ersten die Erteilung einer Bergbauberechtigung (öffentlich-rechtliche Konzession) und dann die standortbezogene Genehmigung über das Betriebsplanverfahren.
- Grundeigene Bodenschätze stehen im Eigentum des Grundeigentümers und unterliegen dem Bergrecht (siehe § 2 Abs. 1 Nummer 1 BBergG). Das Aufsuchen und die Gewinnung dieser Bodenschätze bedürfen keiner Bergbauberechtigung, jedoch einer Genehmigung durch die Bergbehörden der Bundesländer.
- Grundeigentümerbodenschätze sind alle Bodenschätze, die nicht bergfrei oder grundeigen sind und im Eigentum des Grundeigentümers stehen. Sie fallen jedoch nicht unter das Bergrecht und die Bergaufsicht des Bergamtes. Die Genehmigungsverfahren der Grundeigentümerbodenschätze erfolgen vielmehr nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes oder nach landesrechtlichen Bestimmungen (z. B. den Abgrabungsgesetzen , dem Wasser- oder Baurecht).
Für die letztgenannte Gruppe der Grundeigentümerbodenschätze sind je nach Bundesland, Rohstoff und Art des Abbaus staatliche Stellen der mittleren und unteren Verwaltungsebene zuständig.
Durch den Einigungsvertrag wurden Kiesvorkommen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer zu bergfreien Bodenschätzen erklärt.
- Die Regelungslücken:
Anders als in anderen Bundesländern gibt es in Mecklenburg-Vorpommern aktuell kein Abgrabungsgesetz und auch keine anderweitige Verordnung oder Richtlinie auf Landesebene, die den Bergbau reguliert. Die Landesbauordnung (LBauO M-V) reguliert zwar grundsätzlich Abgrabungen. Nach §1 Abs. 2 Nr. 2 LBauO M-V sind jedoch Anlagen, die der Bergaufsicht unterliegen, aus dem Anwendungsbereich der Landesbauordnung ausgenommen. Allein das Bundesberggesetz ist maßgeblich, und dieses trifft nur unzureichend Regelungen zum Schutz der Anwohner und der Natur.
Durch die im Einigungsvertrag vorgenommene Erklärung der Ressource Kies zum bergfreien Bodenschatz ergibt sich eine bis zum heutigen Tage vorhandene Asymmetrie in der gesetzlichen Behandlung des Kiesabbaus in den alten und neuen Bundesländern.
In den neuen Bundesländern im Allgemeinen, und in Mecklenburg-Vorpommern im Speziellen, ergibt sich eine
- übermäßige Konzentration der Aufsicht über den Kiesabbau auf das Bundesberggesetz, und auf das das Bergamt Stralsund als verantwortliche Institution auf Landesebene,
- Unterrepräsentation der Belange des Bau- und Umweltrechtes, des Kultur- und Denkmalschutzes.
Dies führt zu gesellschaftlich negativen Effekten in M-V:
- Aufsicht über den Kiesabbau mit dem Fokus auf dessen Wert als Bodenschatz, ohne ausgewogene Berücksichtigung der Schutzbelange von Natur, Anwohner*innen und Kulturgütern in M-V
- Unzureichende Mitwirkungsmöglichkeit an der Regulierung des Kiesabbaus für die Institutionen, für die mit dem Schutz der Natur und dem Schutz der Anwohner vor Immissionen betraut sind
- Vornahme übermäßiger Eingriffe in die Natur mit hohem Flächenverlust und Auswirkungen insbesondere auf den Wasserhaushalt
- Vornahme übermäßiger Eingriffe in den Wohn- und Lebensbereich der Einwohner*innen.
Diese Effekte sollen durch ein Abgrabungsgesetz M-V gemindert werden.
- Ein Beispiel: Auswirkungen auf den Naturschutz
Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt in §1 Abs. 5 vor:
„Großflächige, weitgehend unzerschnittene Landschaftsräume sind vor weiterer Zerschneidung zu bewahren. Die erneute Inanspruchnahme bereits bebauter Flächen sowie die Bebauung unbebauter Flächen im beplanten und unbeplanten Innenbereich, soweit sie nicht für Grünflächen vorgesehen sind, hat Vorrang vor der Inanspruchnahme von Freiflächen im Außenbereich. Verkehrswege, Energieleitungen und ähnliche Vorhaben sollen landschaftsgerecht geführt, gestaltet und so gebündelt werden, dass die Zerschneidung und die Inanspruchnahme der Landschaft sowie Beeinträchtigungen des Naturhaushalts vermieden oder so gering wie möglich gehalten werden. Beim Aufsuchen und bei der Gewinnung von Bodenschätzen, bei Abgrabungen und Aufschüttungen sind dauernde Schäden des Naturhaushalts und Zerstörungen wertvoller Landschaftsteile zu vermeiden; unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind insbesondere durch Förderung natürlicher Sukzession, Renaturierung, naturnahe Gestaltung, Wiedernutzbarmachung oder Rekultivierung auszugleichen oder zu mindern.“
Das Naturschutzausführungsgesetz M-V: definiert zwar in §12 Abs. 1 Nr. 1 die Gewinnung von Bodenschätzen, namentlich Kies, Sand, Ton, Torf, Kreide, Steinen als Eingriff in Natur und Landschaft, nimmt jedoch in §13 Abs. 1 Nr. 1 die Gewinnung von den dem Bergrecht unterliegenden oberflächennahen Bodenschätzen von der Genehmigungspflicht aus.
Die Prüfung der Naturschutzbelange obliegt im Kiesabbau daher vornehmlich dem Bergamt Stralsund im Rahmen der Prüfung von Betriebsplänen für die einzelnen Bergbauvorhaben.
Naturschutzverbände werden in der Regel nicht beteiligt.
Das alles muss sich ändern.
[1] Die Zahlen zur Regelung transportbedingter Emissionen beruhen auf Ermittlung der Bürgerinitiative "Verträglicher Kiesabbau für Mensch und Natur Pinnow Nord (VKP)"
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